Eine Bahnfahrt – Einmal Wien hin und zurück
oder
Es ist noch Luft nach oben
In meinem Beitrag vom 27. Oktober habe ich euch die Gründe und einen Kostenvergleich für die Wahl der Bahn als Verkehrsmittel für einen Wien Urlaub über Silvester geschildert. Hier jetzt meine Erfahrungen – um es gleich zu sagen: dies ist ein auf einem Einzelfall basierender absolut subjektiver Beitrag, der keinen Anspruch auf Verallgemeinerung rhebt.
Die Hinfahrt: Sonntag, 29 Dez. 2019
Der Reiseplan war recht einfach. Anfahrt mit dem Auto zum Bahnhof Marburg (circa 20 KM) und Parken am Bahnhof. Mein Sohn, der in Marburg wohnt, würde das Auto dann später am Tag abholen und pünktlich zur Rückkehr wieder dort abstellen.
Abfahrt Zug in Marburg nach Kassel Wilhelmshöhe: 8:20 geplante Ankunft in Kassel: 9:26.
Abahrt IC in Kassel bis nach Wien: 10:25 geplante Ankunft in Wien HBF 16:45.
D.h. Eine Stunde Zeit in Kassel (KS) um gemütlich ein Sonntagmorgen Frühstück ein zu nehmen. Wir waren dann auch so gegen 8:10 in Marburg am Bahnhof. Und es folgte auch gleich die Ernüchterung. Die Anzeige wies uns unmissverständlich darauf hin, dass der Regional Express aus Frankfurt (FFM) nach Kassel, circa 40min Verspätung hat. Also nichts mit Frühstück in Kassel, dann halt in Marburg. Aus den 40 Minuten wurden dann recht schnell 50 und etwas später die Gewissheit – der Zug fällt aus. Na prima. Auf einem Bahnhof wie Marburg tummelt sich an einem Sonntagmorgen leider auch nicht viel Bahnpersonal. Also was tun ?
Einen späteren Zug nach Kassel, mit dem wir den ICE noch erreicht hätten, gab es nicht. Alternative war um 8:48 nach Frankfurt, dann mit dem ICE nach Nürnberg und von dort im gleichen ICE, den wir von Kassel gebucht hatten, nach Wien. Das Ganze mit recht knappen Umsteigezeiten, keiner Reservierung im ICE von Frankfurt nach Nürnberg und der offenen Frage, ob dann im ursprünglich gebuchten ICE die ab Kassel reserviert Plätze noch frei wären. Das war uns alles zu ungewiss. Wir entschieden uns also für die sicherere Variante – mit dem Auto nach Kassel zu fahren. War am Sonntagmorgen auch nur eine Stunde Autofahrt und Zeit zum Frühstück in Kassel blieb auch noch. War aber in diesem Fall auch nur deshalb problemlos möglich, weil unser Sohn kostenfrei in Hessen die Bahn nutzen kann. Er hat das Auto dann am Sonntagnachmittag in Kassel wieder abgeholt. In Kassel konnten wir es schlecht stehen lassen, da unsere Rückreise über Frankfurt und nicht Kassel ging
Infozentrum Kassel – Wilhelmshöhe
Jetzt waren wir also doch noch zeitnah in Kassel angekommen. Während meine Frau es sich gleich im Cafe gemütlich machte, dachte ich mir, es ist ja noch Zeit und ich frag mal nach, wie es denn mit Entschädigung für den ausgefallenen Zug aussieht. Also ab ins Infozentrum. Es waren auch 3 Schalter geöffnet, ein Herr eingerahmt von 2 Damen. Am Eingang mussten Nummern gezogen werden. Ich hatte 1012 und aktuell war die 1008 angezeigt. Sollte also eigentlich zügig vorangehen. Als die 1010 aufgezeigt wurde, regte sich niemand. Die Dame rief noch mal laut vom Schalter die 1010 in den Raum. Aber keine Reaktion. Also ging es mit der 1011 weiter. Dann blinkte meine Nummer die1012 bei dem Herrn am mittleren Schalter auf. Gleichzeitig wurde ein junge Dame, die in der Mitte des Raumes gewartet hatte, offensichtlich wach und stellte fest, dass sie ja die Nummer 1010 hat. Und so erreichten wir gleichzeitig den Schalter. Sie erklärte dem Herrn, dass sie es furchtbar eilig hat und sonst ihren Zug verpassen wurde und sie jetzt dran wäre, weil sie ja die 1010 hat. Die Antwort war, dass 1010 verfallen ist und sie eine neue Nummer ziehen müsse. Die etwas hysterische Antwort war, dass sie dann ihren Zug verpassen würde. Ich schlug dann vor, die junge Frau und mich doch einfach nacheinander zu beraten und ich der Dame auch den Vortritt lasse. Die Antwort war eindeutig. Einer von uns beiden müsse eine neue Nummer ziehen. Ich könnte die Dame gerne vorlassen, aber dann würde ich die 1012 an sie abtreten und müsste eine neue Nummer ziehen. Auf meine Bemerkung das wäre ja jetzt etwas kompliziert und überflüssig, stand er energisch auf und meinte: entweder würde jetzt einer von uns beiden eine neue Nummer ziehen, oder er ginge erst einmal auf die Toilette und dann frühstücken. Hmm – der Klügere gibt ja bekanntlich nach. Ich hab dann eine neue Nummer gezogen – 1014 – und ein paar Minuten später ein Entschädigungsformular zum Ausfüllen von der Dame am rechten Schalter erhalten.
Ach ja – an ein Danke der jungen Frau mit der Nummer 1010 kann ich mich nicht erinnern und als sie den Raum verließ sah es auch nicht besonders eilig aus.
Ich frag mich manchmal, warum selbst die einfachsten Sachen, manchmal schon so ausarten müssen. Aber was soll’s – wir sind schließlich alle nur Menschen mit guten und schlechteren Tagen.
Ab Kassel saßen wir dann gemütlich im ICE auf unseren reservierten Plätzen (im Ruhebereich des Zuges) und erreichten mit nur wenig Verspätung Wien. Das dies unser Zielpunkt der Reise war, fiel das nicht weiter ins Gewicht. Der Schaffner war äußerst freundlich und gutgelaunt, also alles in allem ab Kassel recht entspannend.
Das Formular muss ich noch ausfüllen und dann schaun wir mal was uns die Bahn an entstandenen Kosten für die Autofahrt und das Parken in Kassel erstattet.
Die Rückfahrt. Samstag 4. Jan. 2020
Wieder ein einfacher Reiseplan. Mit dem ICE von Wien nach Frankfurt und von dort weiter im Regionalexpress nach Marburg. Abfahrt in Wien 11:15 – planmäßige Ankunft in Frankfurt 17:36. Dann weiter nach Marburg um 17:51 mit Ankunft um 19:04.
Diesmal hatten wir im ICE reservierte Plätze im Großraum Waggon. Soweit auch alles OK. Die Zeit um die Jahreswende ist Hauptreisezeit und so war der Zug auch entsprechend ausgebucht.
Abfahrt war pünktlich in Wien. Bis Passau waren wir auch im Zeitplan. Dort wird die Länge des Zuges verdoppelt (bzw. auf der Fahrt nach Wien halbiert). Für das Ankoppeln des neuen Zugteils hat die Bahn 6 Minuten eingeplant, was wohl doch eher knapp kalkuliert ist und nur im optimalen Fall klappt. Bei uns hat es jedenfalls ungefähr doppelt solange gedauert. Also schon mal 6 Minuten Verspätung eingehandelt. Dummerweise stiegen auch sehr viele Fahrgäste in Passau dazu, viele wohl auch ohne Reservierung. In unserem Fall die meisten von ihnen allerdings in den aus Wien kommenden Zugteil, der dadurch entsprechend überfüllt war. Es gab auch keinen Durchgang zwischen den beiden Zugteilen. Das Resultat – hinten war es richtig voll und vorne noch reichlich Platz. Und so kam denn auch die durchaus sinnvolle Ansage, doch bitte beim nächsten Halt in Plattling für die Fahrgäste ohne Reservierung, vom hinteren in den vorderen Zugteil zu wechseln. Das dies innerhalb einer vorgesehenen Haltedauer von 2 Minuten nicht wirklich realistisch ist, kamen gleich nochmal 4-5 Minuten Verspätung dazu. War schon interessant anzusehen, wie die Fahrgästen am Zug entlang in den vorderen Teil spurten mussten.
Ich frag mich schon, ob das alles so sein muss. Die Bahn hat doch Erfahrungswerte und irgendwie müsste es doch besser zu koordinieren und zu planen sein. Zusätzlich scheint es auch so zu sein, dass der Fahrplan das Aufholen einer Verspätung auf der Strecke nicht zulässt. Nicht das der Zug technisch nicht schneller fahren könnte, offensichtlich darf er es wegen diverser Streckeneinschränkungen und Geschwindigkeitsbegrenzungen nicht. So ist halt alles auf Spitz und Knopf genäht und die Verspätungen läppern sich dann. Das Resultat war, dass wir Frankfurt mit circa 12 Minuten Verspätung erreichten. Ein energischer Spurt von Gleis 5 zu 15 hätte uns den Zug nach Marburg um 17:51 noch erreichen lassen, doch darauf hatten wir keine Lust und entschieden uns, den nächsten Zug um 18:20 zu nehmen. Da dieser weniger Zwischenhalte hat, waren wir in Marburg dann statt um 19:04 um 19:20. Was verschmerzbar war. Für Fahrgäste mit anderen Anschlusszügen sah das vermutlich anders aus.
Zusammengefasst: es ist noch deutlich Luft nach oben für die DB. Wenn ich bedenke, dass Bahnfahren billiger wird und mehr Menschen vom Auto und dem Flugzeug auf die Bahn umsteigen sollen, dann sind noch erhebliche Anstrengungen notwendig. Und die Übergangszeit wird wohl eher nicht spaßig.
Die Fahrt mit dem Regionalexpress nach Marburg
Achtung das Folgende ist jetzt nicht wirklich Bahn bezogen sondern eher ein Sinnieren über die Generation na nennen wir sie 15plus. Außerdem sehr subjektiv und wohl auch etwas zynisch.
Da wir jetzt noch eine halbe Stunde Zeit hatten, entschlossen wir uns noch einen Kaffee zu trinken. Böser Fehler !! Als wir dann um 5 Minuten vor Abfahrt des Zuges am Gleis waren, mussten wir feststellen, dass der Zug schon mehr als voll war. Also stellten wir uns samt Gepäck im Türbereich des Zuges hin, Sitzplätze gab es keine mehr.
Wir gehören mittlerweile auch schon zur Generation 60plus. Und zu meiner Zeit als Jugendlicher war es eigentlich üblich, dass man deutlich älteren Personen seinen Platz anbot. Und das i.d.R. sogar unabhängig davon ob man nun Normalo, Popper, Hippie, Punk oder sonstwas war. Aber vielleicht verklärt ja auch die Erinnerung die Wirklichkeit. Uns hat jedenfalls niemand einen Platz angeboten, obwohl jede Menge junger Menschen (Teens und Twens) in Sichtweite saßen.
Ich hab dazu 3 Theorien:
- Wir haben uns verdammt gut gehalten und sehen nicht wie 60plus sondern eher wie 40 aus. Nach einem kritischen Blick in den Spiegel bin ich allerdings dann doch zu der Erkenntnis gekommen, dass dies wohl eine eher unrealistische Wunschvorstellung ist.
- Es interessiert die jungen Leute einfach nicht mehr. Dann ist vielleicht doch etwas in der Erziehung falsch gelaufen. Wundern würde es mich nicht. Wenn ich z.B. höre und lese, wie in der Schule auch von den Eltern bei jeder Kleinigkeit auf die Lehrer eingedroschen wird. Die armen, allesamt hochbegabten Kinder sind nie schuld und müssen ja einen gesunden Egoismus entwickeln um im Leben zu bestehen. Wozu da aufstehen.
- Vermutlich ist es aber viel einfacher. Sie haben uns einfach nicht gesehen. Wenn alle nur noch wie gebannt mit gesenkten Köpfen pausenlos auf ihr Smartphone starren, tippen und wischen – da bleibt halt keine Möglich um das Geschehen und die Welt um sich herum wahrzunehmen. Und so standen wir halt eine Stunde im Zug und beobachteten junge aber auch ältere Menschen, die mit gesenkten Köpfen auf ihre Smartphones blickten und sich offensichtlich in einer anderen Welt bewegten.
Etwas könnte die Bahn in dieser Hinsicht vielleicht ja doch etwas tun. In der Wiener U-Bahn erfolgte regelmäßig folgende Ansage. Vorgetragen von einer charmanten, freundlichen, weiblichen Stimme mit österreichischem Akzent:
„Bitte seien Sie achtsam – andere benötigen einen Platz vielleicht notwendiger als Sie“.
Könnte man so in der Form doch auch in der deutschen Bahn und ÖNV einführen.